Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme 2019

1. Oktober 2019 / Comments (0)

Allgemein News

Das neue Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung zeigt: Zwar hat sich die Zahl der pädagogischen Fachkräfte durch den Kita-Ausbau deutlich erhöht, doch die Personalschlüssel verbessern sich vielerorts nur langsam. Der Kita-Qualität in Baden-Württemberg stellen die Forscherinnen und Forscher jedoch insgesamt ein gutes Zeugnis aus. Sie kritisieren allerdings die regional recht unterschiedlichen Bildungschancen. Auch die GEW und das Deutsche Kinderhilfswerk sehen weiteren Handlungsbedarf.

Mit dem Kita-Ausbau ist von 2008 bis 2018 die Zahl des pädagogischen Personals um 54 Prozent angestiegen, von 379.146 auf 582.125. Diese enorme Aufstockung ist ein Erfolg. Zudem zeigt sich seit 2013 – dem Jahr der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz – eine im bundesweiten Durchschnitt verbesserte Personalsituation in den Kitas. Die Zahlen sind dem Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2019 der Bertelsmann Stiftung zu entnehmen.

Große Unterschiede zwischen den Bundesländern: Baden-Württemberg führend

Der Blick auf den bundesweiten Durchschnitt verdeckt allerdings die sehr unterschiedlichen Entwicklungsdynamiken in den Bundesländern. Während der Personalschlüssel in vielen Ländern trotz Verbesserungen noch immer weit von den wissenschaftlichen Empfehlungen entfernt ist, stellen die Fachleute Baden-Württemberg ein positives Zeugnis aus. Hier gibt es sowohl in Krippen- als auch in Kindergartengruppen die im Bundesvergleich besten Personalschlüssel. Im Landesmittel entsprechen sie den Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung.

Kluft zwischen Theorie und Praxis

Allerdings sieht das Betreuungsverhältnis im Kita-Alltag weniger günstig aus, da nicht die gesamte Arbeitszeit für die Betreuung der Kinder zur Verfügung steht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass rund ein Drittel der Arbeitszeit einer Erzieherin außerhalb der pädagogischen Praxis benötigt wird: für Elterngespräche, Qualitätsentwicklung oder Bildungsdokumentationen sowie für Urlaub und Fortbildungen. In Krippengruppen muss dann beispielsweise in Baden-Württemberg eine Mitarbeiterin 4,5 unter dreijährige Kinder betreuen. In Kindergartengruppen ist eine Fachkraft tatsächlich für 10,5 Kinder zuständig. Krankheitszeiten verschlechtern die Betreuungssituation noch weiter, wenn kein Vertretungspersonal zur Verfügung steht.

Bildungschancen hängen auch vom Wohnort ab

Nicht für jedes Kind in Baden-Württemberg biete die Kita kindgerechte Bedingungen. So besteht zwischen den baden-württembergischen Kreisen und kreisfreien Städten ein Qualitätsgefälle. Während eine Fachkraft im Landkreis Waldshut für 8,3 Kindergartenkinder ver- antwortlich ist, sind es in Karlsruhe mehr als zwei Kinder weniger (1 zu 5,9). Bei den Krippengruppen ist das Gefälle geringer: In Mannheim ist die Situation am ungünstigsten, hier ist eine Fachkraft für 3,8, im Landkreis Göppingen nur für 2,6 Kinder zuständig. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, fordert: „Beim weiteren Ausbau müssen kindgerechte Personalschlüssel in allen Regionen von Baden-Württemberg erreicht werden.“

Jüngere Kinder nicht benachteiligen

In Baden-Württemberg werden 46 Prozent der U-3-Kinder gemeinsam mit älteren Kindern betreut. In diesen Gruppen sind die Personalschlüssel für die jüngeren Kinder im Vergleich zu einer klassischen Krippengruppe (1 zu 3,0) ungünstiger. So ist beispielsweise in Kindergartengruppen, die auch für Zweijährige geöffnet sind, eine Fachkraft für 6,9 Kinder zuständig. In sogenannten altersübergreifenden Gruppen, in denen alle Altersgruppen vertreten sind, liegt der Personalschlüssel bei 1 zu 5,3. Dazu sagt Dräger: „Die Personalausstattung muss in jeder Betreuungsform kindgerecht sein. So darf der Besuch von Gruppen mit älteren Kindern die Bildungschancen der Jüngsten nicht verschlechtern.“

Personal hat Vorrang: Bundesweit gleiche Rahmenbedingungen schaffen

Um neue Fachkräfte zu gewinnen, empfiehlt Dräger , dass sich die Länder auf einheitliche Verbesserungen im Ausbildungssystem für Erzieherinnen und Erzieher verständigen: „Einheitliche Ausbildungsbedingungen erhöhen auch die Chance für Fachkräfte, in jedem Bundesland in einer Kita zu arbeiten“, so Dräger. Bundesweit brauche es eine kostenfreie Ausbildung, eine angemessene Ausbildungsvergütung sowie eine Renten- und Sozialversicherungspflicht für alle Ausbildungsgänge. Zudem sollten die derzeit entstehenden unterschiedlichen Wege in den Beruf – beispielsweise für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger – keine Absenkung des bisherigen formalen Qualifikationsniveaus nach sich ziehen. Für diese langfristigen und umfassenden Maßnahmen benötigen die Länder eine verlässliche finanzielle Beteiligung des Bundes. Dräger fordert deshalb: „Die Bundesmittel im Gute-Kita-Gesetz müssen angesichts des bestehenden Ausbaubedarfs nach 2022 erhöht werden.“

Kommentar der GEW Baden-Württemberg

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg kommentiert die Ergebnisse des Monitoring: „Unsere Kita-Leitungen wollen gute Arbeit leisten und scheitern damit immer wieder an den täglichen Arbeitsbedingungen. Wir brauchen eine Freistellung im Umfang von mindestens 25 Prozent einer Vollzeitstelle pro KiTa-Gruppe“ sagt die Landesvorsitzende Doro Moritz. Der aktuelle Status: Für die Bemessung der Leitungszeit gibt es bisher keine landesweiten Standards, 12 Prozent der Kita-Leitungen in Baden-Württemberg erhalten dafür überhaupt keine zusätzlichen Stunden.

Unbesetzte Stellen und unzureichend qualifiziertes Personal seien weitere Gründe, warum das positive Bertelsmann-Ranking in der Praxis häufig kaum spürbar sei: „8,3 Prozent des Personals hat keine einschlägige frühpädagogische Ausbildung, es fehlen überall Fachkräfte und oft können die pädagogischen Konzepte der Kitas nicht umgesetzt werden, weil es im Alltag nur darum geht, den Mangel zu verwalten und die Betreuung der Kinder sicherzustellen. Das geht auf Kosten der Qualität“, führt Moritz aus.

Kommentar des Deutschen Kinderhilfswerks

„Die von der Bertelsmann Stiftung vorgelegten Zahlen zur Personalausstattung in deutschen Kitas gleichen einem Trauerspiel. Diese Bummelei bei der Verbesserung der Kita-Qualität ist fahrlässig und muss ein Ende haben”, betont Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes. „Die Mitbestimmung von Kindern sollte in Kindertageseinrichtungen als Qualitätsfaktor ins Zentrum der Arbeit rücken“, fordert er. „Kitas müssen aber auch in ihrer inklusiven Erziehungs- und Bildungsarbeit begleitet und unterstützt werden. Dabei geht es vor allem darum, im Kita-Alltag ein Miteinander zu fördern, in dem Vielfalt wertgeschätzt wird und das alle Kinder aktiv mitgestalten können.“

Über den Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme

Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitorings Frühkindliche Bildungssysteme sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik und weiteren amtlichen Statistiken. Stichtag für die Datenerhebung war der 15. März 2008 und jeweils der 1. März 2013 und 2018. Die Berechnungen für 2018 wurden von dem LG Empirische Bildungsforschung der FernUniversität in Hagen durchgeführt.

Links

Grafik: Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme 2019, www.laendermonitor.de